Hey Du! Muss das sein?
In vielen Firmen, vielleicht auch in Ihrer, sind die Kollegen per Du. Bei uns ist das auch so. Duzen wird als ein Indikator für eine tolle Firmenkultur über Hierarchie-Ebenen hinweg angeführt: „Bei uns sind alle per Du, vom Azubi bis zum Geschäftsführer.“ Wenn es passt, dann finde ich das auch vollkommen in Ordnung.
Inzwischen ist das Du auch dort angekommen, wo man sich (noch) nicht (so gut) kennt: In Stellenanzeigen, auf der Karriereseite, im Vorstellungsgespräch.
Um ehrlich zu sein: Ich finde das schwierig.
Was ist die Erwartung? Ist es wirklich okay, wenn ich Euch, liebe Arbeitgeber, so anschreibe: „Liebe Heidi, lieber Wolfgang, hiermit bewerbe ich mich um Eure Stelle als Head of Software Architecture. (…) Ich freue mich auf Eure Einladung. Eure Juliane“? Oder muss ich, wenn es offiziell wird, wieder zum Sie umschalten? Kann ich bei Euch anrufen, und – natürlich nur falls in Eurem Recruiting jemand telefonisch gerne für Bewerber zu erreichen ist – sagen: „Hallo Heidi, ich interessiere mich für Deine Stelle, ich habe aber noch ein paar Fragen… .“?
Ich stimme zu: In bestimmten Branchen (Event, Sport) oder in sehr kreativen Berufen wirkt ein Sie eher unpassend. Aber schafft das Vertrautheit vorgaukelnde Du wirklich generell Vertrauen? Bin ich von gestern, wenn ich das Sie nicht als Zeichen von Distanziertheit, sondern respektvoller Umgangsformen empfinde?
Jürgen und ich, wir waren uns nicht sicher. Und da Jürgen immer ein bisschen hipper und experimentierfreudiger ist als ich, musste er mich ermutigen, es auszuprobieren. Ein paar Wochen habe ich neue Kontakte von Beginn an geduzt.
Für Dich immer noch Sie!
Ich mache es kurz: Für mich hat das nicht funktioniert. Ein paar Mal hätte ich fast meine eigene Zunge verschluckt, bei dem Wirr-War, dass in meinem Sprachzentrum entstanden ist. Und mein Eindruck war: Nicht jeder fand das genial. Wenn man auf ein „Hallo Vera!“ ein „Sehr geehrte Frau Brauer!“ zurückbekommt, lässt einen die virtuelle Ohrfeige zusammenzucken. Für den Moment lasse ich das wieder mit dem permanenten Du.
Viele Grüße
Juliane Brauer